Jena/Ziegenhain, Marienkirche: Unterschied zwischen den Versionen

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1917 Abgabe der Prospektpfeifen zu Rüstungszwecken, 1924 Ersatz durch Zink
 
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ab Mitte der 1980er Jahre Unspielbarkeit
 
ab Mitte der 1980er Jahre Unspielbarkeit

Version vom 1. September 2023, 18:00 Uhr


Gerhard-Orgel in Jena-Ziegenhain
Orgel im Raum
Orgelbauer: Justinus Ehrenfried Gerhard, Lindig
Vogtländischer Orgelbau Thomas Wolf, Limbach
Baujahr: 1764 / 2001
Geschichte der Orgel: Bau durch Gerhard als Erweiterung eines für einen anderen Ort erbauten Werkes von 1735

1917 Abgabe der Prospektpfeifen zu Rüstungszwecken, 1924 Ersatz durch Zink

div. Umbauten, Höherstimmung

ab Mitte der 1980er Jahre Unspielbarkeit

bis 2001 in Bauabschnitten Restaurierung/Rekonstruktion durch Vogtländischer Orgelbau Thomas Wolf

Stimmtonhöhe: a1= 464 Hz (15 °C)
Temperatur (Stimmung): Silbermann-Sorge
Windladen: Schleifladen
Spieltraktur: mechanisch
Registertraktur: mechanisch
Registeranzahl: 9
Manuale: 1, CD–c3
Pedal: CD–c1
Spielhilfen, Koppeln: Pedalkoppel (fest?); Tremulant, Calcantenruf, Transponiermanual





Disposition

Manual Pedal
Gedackt 8' [1]

Octava 4' [2]

Flöte 4' [3]

Principal 2' [4]

Quinta 11/2' [4]

Octava 1' [4]

Mixtur 3f 1' [4]

Subbaß 16' [4]

Octavbaß 8' [1]


Anmerkungen
  1. 1,0 1,1 original
  2. Teilrekonstruktion, auf Zusatzschleife
  3. Teilrekonstruktion
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 Rekonstruktion




Bibliographie

Anmerkungen: Die Manualklaviatur wurde nach der Gerhard-Orgel in Mennewitz rekonstruiert.


Auszug aus dem Orgelbericht

Die einmanualige Orgel in der Marienkirche zu Ziegenhain bei Jena wurde am Kantate-Sonntag des Jahres 1764 geweiht. Orgelbaumeister ist Justinus Ehrenfried Gerhard (1710-1786) aus Lindig bei Kahla gewesen. Er war der Gründer einer über drei Generationen bestehenden Orgelbaufirma, die vor allem im ostthüringischen und nordsächsischen Raum tätig war und seit 1735 nachweisbar ist. Gerhard-Orgeln mit ihrem hellen, frischen Klang sind sehr solide aus guten Materialien gefertigte Instrumente. Im Raum Jena gibt es keine vergleichbare Orgel bezüglich Größe (oder Kleinheit?), Disposition und Entstehungszeit.

Durch Korrosion, Verschleiß, Verschmutzung und jeweils dem Zeitgeschmack der Vergangenheit erfolgte Umbauten (nicht immer zum Vorteil des Instrumentes) sowie kriegsbedingte Abgaben zweier Weltkriege ist die Orgel in unserer mit viel Liebe und hohem körperlichen und finanziellen Einsatz liebevoll restaurierten Marienkirche unbrauchbar geworden. Seit anderthalb Jahrzehnten schwieg sie.

In der über zweijährigen Vakanzzeit hat sich mit großem Engagement eine kleine Gruppe um Dr. G. Weißenburger, der Seniorprediger von Ziegenhain, bemüht, die Restaurierung mit dem Ziel, den gerhardschen Originalzustand wieder herzustellen, voranzutreiben. Dabei stellte sich überraschender Weise heraus, dass J. E. Gerhard ein älteres Instrument nach Ziegenhain umgesetzt und erweitert hat, denn wir fanden Pfeifen aus der Frühzeit des gerhardschen Orgelbaus ~1739.Wir konnten dies aus alten Unterlagen bestätigen, aus denen hervorging, dass die Gemeinde Ziegenhain 1763 eine Orgel gekauft hat.

Mit Orgelbaumeister Thomas Wolf (fr. Greiz, heute Limbach/Vgtl.) konnte ein auf Gerhard-Orgeln spezialisierter heimischer Orgelbaubetrieb gefunden werden, der eine hervorragende Arbeit leistete. Nach genauer Analyse erwies sich der Zustand schlechter als vermutet. Die Windlade war völlig marode. Das Pfeifenwerk wies ein buntes Gemisch verschiedener Zeitepochen neben gutem altem Pfeifenbestand auf. Mit dem Einbau einer Gambe 8’ ist die Flöte umgestellt und das Octavregister 1’ entfernt worden. Die Octave 4’ ist zum Cornett erweitert worden. Um die Jahrhundertwende erfolgte der Austausch der Quinte durch einen Geigenprincipal. Die Zinn-Prospektpfeifen mussten im 1. Weltkrieg abgeliefert werden. 1924 sind sie durch Zink ersetzt worden, dabei wurden die Schleierbretter des Gehäuses radikal gekürzt. Nach 75 Jahren zerfielen diese Pfeifen allmählich. Die Originalstimmhöhe von 466 Hz ist auf 490 Hz dem Zeitgeschmack entsprechend verändert worden. Um der denkmalspflegerischen Forderung und dem optimalen Werksaufbau Genüge zu leisten, mussten über 160 Pfeifen angelängt werden. Unvollständige Register und unbrauchbare Pfeifen waren zu rekonstruieren. Dabei ist besonders darauf geachtet worden, dass diese von gleicher Materialart und analoger Bauweise wie ursprünglich gefertigt wurden. Die vom Holzwurm befallenen Pfeifen sind umweltverträglich imprägniert worden. Angepasst an die originalen Hölzer sind Ahorn, Kiefer Linde und Fichte verwendet worden. Die Registertraktur ist in Einzelteile zerlegt und gründlich aufgearbeitet worden. Dabei sind die Manubrien nach originalem Vorbild neu gefertigt worden. Jede Prospektpfeife besitzt einen Paten, der maßgeblich sich an den Kosten beteiligt hat. Die Patenliste hängt neben der Orgel aus zwischen den unbrauchbar gewordenen Subbass-Pfeifen.

Die Pedalklaviatur ist in den originalen Tonumfang (C, D-c1) zurückgesetzt und neu garniert worden. Ausgespielte Untertasten sind mit neuen Aufleimern in der gleichen Materialart und Form versehen worden. Obertasten mussten neu hergestellt werden. Dabei ist eine belegbare Gerhardsche Tastenform zugrunde gelegt worden. Hier ist traditionell Kiefernholz benutzt worden.

Nach gründlicher Intonation und Stimmung erklangen am Pfingstsonntag 1999 erstmalig die Register Principal 2', Flöte 4' (von zauberhaftem Klang), Gedackt 8', Subbass 16'. Die Manualklaviatur ist nach historischem Vorbild rekonstruiert worden und ein besonderes Schmuckstück unserer Orgel. Allerdings mussten die Abstrakten zum Wellenbrett erneuert werden, da die Maße zur ausgedienten Klaviatur zu stark differierten.

In der Folgezeit sind dann Octave 4', Quinte 1 1/3 , Octave 1', Octavbass 8', Mixtur 2-3f. 1' (sehr kräftig) eingebaut worden. Als Besonderheit fügten wir noch einen Tremulanten ein. Durch die Rückführung auf die Originalstimmhöhe (466 Hz) erklingen Barockkompositionen (z. B. Pachelbel) im Originalton. Allerdings ist der Einsatz als Begleitinstrument in einer Dorfkirche manchmal problematisch. Daher ließen wir als seltene Besonderheit ein Transponiermanual anfertigen, das leicht auf das Manual aufgesetzt werden kann.

Jede Ausbaustufe ist der Gemeinde zu Gehör gebracht worden in den Reihen Musik von der Orgelbaustelle sowie Ziegenhainer Abendmusik, einer beliebten Konzertreihe, die aus dem Jenaer Kulturleben nicht mehr wegzudenken ist. Auf diese Weise konnten die Meinungen der verschiedenen Organisten in den Restaurierungsprozess einfließen.

Dr. sc. G. Weißenburger
(mit freundlicher Genehmigung)

Weblinks: Website der Kirchengemeinde

Wikipedia

Beschreibung beim Vogtländischen Orgelbau (Quelle)

Orgelbeschreibung, Kirchenführer und Auszug Orgelbericht (PDF)

Datenblatt von kirchbau.de


Orgeln im Kirchenkreis Jena: Marienkirche Ziegenhain – Dietrich Modersohn: