Schorndorf, Stadtkirche (Chororgel)
Adresse: Kirchplatz, 73614 Schorndorf, Baden-Württemberg, Deutschland
Gebäude: Evangelische Stadtkirche (neu errichtet bis 1660, umgestaltet 1958)
Weitere Orgeln: Hauptorgel; Chororgel; Truhenorgel
Orgelbauer: | Gebr. Link Orgelbau, Giengen/Brenz Konzept und Disposition: Helmut Bornefeld, Heidenheim/Brenz |
Baujahr: | 1976 |
Geschichte der Orgel: | Die Orgel wurde von einem in die USA ausgewanderten Schorndorfer Ehepaar gespendet.
2015: Überholung (u.a. neue Registerzugmagnete, keine klanglichen Modifikationen) |
Gehäuse: | Esche; Flächen: lasierte Fichte; Gitterfelder aus versch. Holzarten gebeizt/gefräst |
Stimmtonhöhe: | a1= 440 Hz |
Temperatur (Stimmung): | gleichstufig |
Windladen: | Schleifladen |
Spieltraktur: | mechanisch |
Registertraktur: | elektrisch |
Registeranzahl: | 23 |
Manuale: | C–g3 |
Pedal: | C–f1 |
Spielhilfen, Koppeln: | Koppeln II/I, I/II, I/P, II/P
4 freie Kombinationen, 2 freie Pedalkombinationen Gruppenzüge (A-I): Einzelregister aus Gruppenzügen, 3 Zungeneinzelabsteller |
Disposition
I Unterwerk[1] | II Hauptwerk[1] | Pedal |
Gedackt 8'
Rohrflöte 4' Ital. Prinzipal 2' Gemsquinte 11/3' Hörnlein 3f 13/5' + 11/7' + 8/9' Zimbel 4f 1/2' Rankett 16' Trompete 8'
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Quintade 16'
Schwegel 8' Prinzipal 4' Gemshorn 4' Spitzquinte 22/3' Waldflöte 2' Larigot 2f 11/3' + 1' Mixtur 4-6f 11/3'
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Untersatz 16'
Prinzipal 8' Flötgedackt 8' Baßzink 3f 51/3' + 31/5' + 22/7' Rohrpfeife 4' Rauschpfeife 2f 2' + 11/3' Stille Posaune 16'
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- Anmerkungen
Bibliographie
Anmerkungen: | Das Instrument steht als eine von 30 Bornefeld-Orgeln unter Denkmalschutz (Liste, PDF).
Inschrift der Stiftungstafel an der Orgel
Die Orgel ist heute, an der herrschenden Durchschnittsmeinung gemessen, ein „unzeitgemäßes“ Instrument. Wenn sie nichtsdestoweniger in unserem Musikleben einen geachteten Platz behaupten konnte, so hat sie das – vor allem im protestantischen Raum – ihrer Verwendung beim Gemeindegesang zu verdanken. Aber die abendländische Orgel hat eine 1000jährige Geschichte hinter sich (ganz zu schweigen von ihren antiken Vorformen, die bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen). Die heutige Gemeindeverwendung der Orgel ist überhaupt erst im 18. Jahrhundert entstanden und stellt deshalb nur einen späten und relativ unwichtigen Teil ihres Wesens dar. Unsere romanischen und gotischen Kirchen sind für grundsätzlich liturgische Kultformen gebaut worden, und zwar zu einer Zeit, da es Mehrstimmigkeit im heutigen Sinn noch gar nicht oder erst in Anfängen gab. Die „Überakustik“ dieser Kirchen ist also nicht ein „Mangel“, sondern ein gewollter Zweck mit dem Ziel, diese Musik mittels des natürlichen Nachhalls zu einem „stereophonen“ Gewebe zu machen! Seit dem 14. Jahrhundert etwa fiel der Orgel die Aufgabe zu, Teile der Liturgie im Wechsel oder in Stellvertretung zum römischen Choral zu übernehmen. Ihre gesamte Struktur erwuchs (klanglich und kompositionstechnisch) aus solchen Funktionen; und als diese dann allmählich erloschen, blieb die Orgel gleichsam als Denkmal dieser versunkenen und versinkenden Klangwelt übrig. Aber sie nahm dafür alle Errungenschaften der Neuzeit (wie Fuge, Sonate, Konzert usw.) in sich auf, und so entstand ihre „autonome“ Literatur, die dann über Bach bis zu Reger und Messiaen eine Zierde der europäischen Musik blieb. Die Stadtkirche Schorndorf – ursprünglich ein gotisch-dreischiffiger Bau – hat ihre heutige Gestalt durch den großen Brand während des Dreißigjährigen Kriegs bekommen: die ausgeglühten Säulen des Mittelschiffs mußten abgetragen werden, und so entstand der jetzige, von einer riesigen Kassettendecke überspannte Raum, an den der große Ost- und der kleinere Nordostchor etwas unvermittelt anschließen. Diese Baugeschichte hatte Konsequenzen für die Orgeln der Kirche: eine ältere Westorgel wurde 1909 (gegen den Rat der Musiksachverständigen) durch ein im Triumphbogen stehendes, nach Westen sprechendes Werk ersetzt (womit der Ostchor als Bestandteil des Gesamtraums preisgegeben war). Erst die Renovierung von 1959/60 hat den Chor wieder freigelegt und erforderte damit die neue Westorgel. So entstand schon damals der Gedanke, den Chor mittels einer eigenen, kleineren Orgel zu seiner liturgisch selbständigen Größe zu erheben. Da dieser Chorraum bei 22 m Länge und 17 m Höhe nur 8,5 m breit ist. wurde die richtige Stellung zum Hauptproblem dieser Orgel. Weil eine Ostplazierung (aus denkmalpflegerischen und thermischen Gründen) ausschied, blieb nur jene Form des „Schwalbennestes“, die in schwierigen Fällen auch früher schon oft benützt wurde (so in Chartres, Sion, Straßburg, Nürnberg, Ulm usw.). Es wurde also eine von der Sakristei her zugängliche Empore gebaut, auf der Hauptwerk und Pedal stehen; das Positiv wurde (zwecks Einsparung von Tiefe) u n t e r diese Werke gelegt. Auf der Empore können bis zu vier Solisten mit der Orgel zusammenwirken: aber auch bei größerem Apparat (auf Bodenhöhe des Chors) kann sie begleitend noch eingesetzt werden. Damit sind für kleinere Gottesdienste und Kirchenmusiken denkbar günstige Voraussetzungen geschaffen, ohne die Grundfläche des Chorraums irgendwie zu beeinträchtigen. Klar ist, daß eine solche Aufhängung der Orgel an einer (nicht allzustarken) Turmwand statische und technische Probleme mit sich bringt, die über diejenigen eines „Normalbaus“ weit hinausgehen. Die Chororgel sollte neben der Westorgel (mit 45 Stimmen) zwar das „kleine“ Werk sein, aber doch so ausgestattet, daß es allen Anforderungen der zweimanualigen Literatur gerecht werden kann. Unter dieser Zielsetzung bekam das Instrument folgende Disposition: [Disposition] Damit sind die an jede Orgel zu stellenden Grundforderungen erfüllt, nämlich gute Plena samt reichen Solo-, Trio- und Begleitmöglichkeiten. Zwischen allen Registern wurde mittels Mensuration und Intonation jenes Maximum an gegenseitiger Bezogenheit geschaffen, das auch kleine Orgeln praktisch unerschöpflich macht. Es ist klar, daß eine so „schwierige“ Orgel auch hinsichtlich ihres Prospekts besondere Ansprüche stellt. Der Zwang zu sehr flacher Unterbringung legte nahe, möglichst viele (größere) Pfeifen von den Laden weg in den Prospekt zu nehmen. So entstand der Gedanke, diese Töne in ein auskragendes Rahmennetz zu stellen und damit die Proportionen der Werke als gliedernden „Schmuck“ für sich selber sprechen zu lassen. Das gesamte Rahmenwerk (auch der Empore) ist in Esche gearbeitet; alle Flächen sind lasierte Fichte. Die Gitterfelder sind aus mehreren Holzarten in verschieden gefrästen und gebeizten Stäben gemacht. Die Orgel wurde 1975/76 von der Firma Gebr. Link (Giengen-Brenz) erbaut; Disposition, Mensuren und Prospektgestaltung stammen vom Unterzeichneten. Die architektonische Leitung lag beim Büro E. Laichinger (Schorndorf), die statischen Unterlagen erstellte Dipl. Ing. W. Kurz (Plochingen). Die Schwalbennestform bringt naturgemäß einen erhöhten und erschwerten Anteil bauseitig-handwerklicher Arbeiten mit sich; für all das, was hier von Steinmetz, Schlosser, Zimmermann, Schreiner, Maler und Elektriker geleistet wurde, sei auch an dieser Stelle wenigstens summarisch recht herzlich gedankt! Die Erstellung einer solchen Orgel wird von Jahr zu Jahr schwieriger, weil unsere Konsumdemokratie zwar für die Erhaltung historischer Kulturgüter manches tut, die Schaffung n e u e r Werte hingegen fast ausschließlich privater Initiative überläßt. So hätte auch die Schorndorfer Chororgel für immer Wunschtraum bleiben müssen, wäre nicht ein kunstsinniger Stifter aufgetaucht, der der Verbundenheit mit der Stadt seiner Eltern und seiner Jugend in diesem Werk ein Denkmal setzen wollte. Jedenfalls sind sich hier Kunst und Leben in glücklichster Weise begegnet. Und wenn diese Orgel mit Bachs „Musikalischem Opfer“ eingeweiht wird, so mag das auch unsererseits ein Opfer des Dankes sein für einen in unserer Welt sehr selten gewordenenen Dienst an Kultus und Kultur! Wenn der Mensch schon „nicht vom Brot allein“ lebt, dann noch weniger vom Konsum allein! Die Geschichte lehrt, daß auch vergleichsweise arme Zeiten und Völker sich mit ihren Kulturen eine „Welt“ schaffen konnten, in der sich leben ließ. Und wenn für den Wohlstandswesten – wie sich deutlich abzeichnet – magere Jahre anbrechen, dann wird dem Vorhandensein von „Dennoch-Lebenswertem“ eine geradezu existentielle Bedeutung zukommen. Die verachtete Saat von heute wird dann das begehrte Brot von morgen sein! Helmut Bornefeld |
Literatur: | Ev. Pfarramt West der Stadtkirche Schorndorf (Hrsg.): Die Stadtkirche. Juwel im Herzen von Schorndorf. Ein Begleiter durch die Evangelische Stadtkirche und ihre Geschichte. 52 Seiten, Auslage in der Kirche
Die evangelische Stadtkirche Schorndorf, Baden-Württemberg, Rems-Murr-Kreis. Schnell & Steiner, Waldsassen 1977. Online (PDF; 1,5 MB) Schwab/Lübke: Bornefeld-Orgeln. Merseburger 1987 Helmut Völkl: Orgeln in Württemberg. Hänssler 1986 Helmut Bornefeld: Die neue Chororgel der Stadtkirche Schorndorf. 1976 (s.o.) Musik und Kirche 6/1976 |
Discographie: | Johann Sebastian Bach: Das Musikalische Opfer BWV 1079 in der Bearbeitung von Helmut Bornefeld. Peter Thalheimer, Flöte; Sabine Kraut, Violine; Hannelore Hinderer, Orgel. carus CD 83.460/00, 2013, CD, Rezension auf klassik.com, Rezension in „Organ“, Rezension in der Schwäbischen Zeitung, YouTube, Spotify |
Weblinks: | Website der Kirchengemeinde |
Videos
J.S. Bach: Musikalisches Opfer BWV 1079 (arr. Bornefeld): I Ricercar a 3
Sabine Kraut, Violine; Peter Thalheimer, Querflöte; Hannelore Hinderer, Orgel:
J.S. Bach: Musikalisches Opfer BWV 1079 (arr. Bornefeld): IV Fuga canonica in epidiapente:
J.S. Bach: Musikalisches Opfer BWV 1079 (arr. Bornefeld): II Ricercar a 6: