Ortrand, St. Barbara
Adresse: 5, Kirchplatz, Burkersdorf, Ortrand, Oberspreewald-Lausitz, Brandenburg, 01990 Deutschland
Gebäude: Ortrand, Stadtkirche St. Barbara, Evangelisch-Lutherische Kirche
Orgelbauer: | Johann Friedrich Turley (1804-1855) Treuenbrietzen, später Brandenburg |
Baujahr: | 1847 |
Geschichte der Orgel: | Die St. Barbara-Kirche wurde 1563 erbaut. Sie entstand aus der ehemaligen Barbara-Kapelle. Für die neue Kirche wurde eine einmanualige Orgel gekauft, die 1612 mit der neu erbauten Kirche verbrannte.
Bis 1627 wurde die Kirche wieder aufgebaut. In der Kirche stand ein Positiv, welches man 1630 dem Orgelmacher Christian Koch aus Hayn (Großenhain) in Zahlung gab. Er baute eine neue Orgel mit 8 Registern auf einem Manual und einem Tremulanten. 1638 wurde noch ein Rückpositiv hinzugefügt. Nun hatte die Orgel 14 klingende Register und 2 Nebenregister. Zwischen 1673 und 1688 reparierte Christian Schechner (*-+1689), Orgelmacher aus Senftenberg, die Orgel mehrmals. 1688 wollte die Kirchgemeinde eine größere Orgel und wandte sich an den Orgelbauer Gräbner in Dresden. Der Gemeindepfarrer Balduin schätzte diesen für zu teuer ein, so entschied man sich für den Orgelbauer Johann Zeidler (1680-1706 als Orgelbauer nachweisbar) aus Hayn (Großenhain). Dieser hatte die alte Orgel in Zahlung genommen. 1692 wurde ein Kontrakt mit Johann Zeidler geschlossen. Für die größere Orgel musste die Orgelempore erweitert werden. 1693 nahm Johann Andrea Hauteln, Organist der Schlosskirche Wittenberg, die Orgel ab. In den Jahren danach wurde die Orgel mehrfach repariert, bis 1699 durch Zeidler, 1707 durch Johann Martini aus Lampertswalde und 1711 durch einen Orgelmacher aus Zabeltitz und andere. 1749 führten die Orgelbauer Andreas Mager und Johann Christian Pfützner aus Pulsnitz eine Überholung und Modernisierung durch. Weitere Reparaturen erfolgten 1806, 1814 und 1822. Im April 1845 wurde die Orgel durch Brand zerstört. Die neue Orgel errichtete Johann Friedrich Turley aus Brandenburg mit seinem jüngeren Bruder Albert. Am 17.10.1847 fand der Orgelweihegottesdienst statt. Die Orgel hatte 18 klingende Register auf zwei Manualen und Pedal. 1817 wurden nur 17 Register genannt. Möglicherweise waren die Quinte 2 2/3‘ und Superoctave 2‘ auf einem gemeinsamen Registerzug gebaut worden. Die Traktur war mechanisch mit Schleifladen. Die Orgel war vermutlich im preußischen Kammerton gestimmt bzw. Berliner Kammerton. Die Farbfassung des Gehäuses schuf der Maler Christian Abeken in Weiß mit etwas Goldfarbe. Seit 1851 wurden Reparaturen an der Orgel ausgeführt. Organist Haupt reparierte zwei Mal wöchentlich die Orgel, vermutlich gab es regelmäßige Choraufführungen mit Orgel. 1890 wurde mit Orgelbauer Nagel aus Großenhain ein Wartungsvertrag abgeschlossen. 1907 baute Arno Voigt, Liebenwerda, einen neuen Magazinbalg mit zwei Schöpfbälgen ein, dazu 3 Regulatoren und 6 Meter Windkanal, ein neues Balghaus, dazu Nachintonation und Stimmung der gesamten Orgel. Am 10.02. 1918 beschädigte ein „Kirchen- und Orgelbrand“ das Instrument. Orgelgehäuse und Pfeifen sind aber heute noch erhalten, so war der Schaden vermutlich nur ein Ruß- und Löschwasserschaden. Die Versicherung regulierte den Schaden, so nutzte die Gemeinde die Gelegenheit ihre Orgel zu modernisieren. Am 21.02.1918 reichte der Orgelbauer Arno Voigt aus Bad Liebenwerda einen Kostenvoranschlag für Umbau und Modernisierung ein. Am 10.04.1918 wurde der Auftrag an Voigt vergeben. Der Orgelumbau erfolgte 1919. Zuerst wusch Malermeister Wilhelm Karl die Orgel aus. Die alten Pfeifen und Orgelteile lieferte man im April 1919 nach Liebenwerda. Der Wiedereinbau begann bereits im Mai. Die Orgel hatte nun pneumatische Kegelladen und einen angebauten Spieltisch. Am 03.07.1919 fand die Abnahme der fertigen Orgel durch Kantor Spangenberg statt. Den Orgelumbau nahm Arno Voigt als Opus 40 in sein Werkverzeichnis auf, obwohl sie zu einem erheblichen Teil aus dem Material der Turley-Orgel von 1847 bestand. Es war also keine neue Orgel, sondern nur ein Neubau der technischen Anlage mit geringer klanglicher Erweiterung. 1932 führte der Orgelbauer Alfred Hippauf (1904-1985) aus Bautzen eine Generalreinigung der Orgel mit kleinen Reparaturen durch. 1934 wurde die obere Empore abgebrochen, was die Akustik der Kirche durch längeren Nachhall beeinflusste. Nach dieser Baumaßnahme bekam auch das Orgelgehäuse durch Malermeister Paul Hübner einen neuen Anstrich in Weiß. Der Orgelbauer Alfred Hippauf hatte eine neue Tätigkeit angenommen, so blieben die Wartungsarbeiten an der Orgel 1937 und 1938 aus. 1939 kümmerte ich Arno Voigt wieder um die Instandsetzung und Reinigung der Orgel. 1943 wurde ein Harmonium für Kirchenchorübungen angeschafft. Nach dem Krieg, von 1947 bis 1949, führte Arno Voigt wieder die Jahreswartungen durch. Im September 1949 baute die Orgelbaufirma Gebrüder Jehmlich (Otto & Rudolf) aus Dresden einen Elektroventilator ein, somit benötigte man keine Balgtreter mehr. Leider vibrierte der Motor lautstark und störend. Reparaturvorschläge wurden leider abgelehnt. Die Gemeinde hatte dem jungen Kantor Schulze erlaubt die Orgel selbst zu reparieren. Laut Arno Voigt hatte Kantor Schulze „frevelhafte“ Eingriffe an der Orgel vorgenommen, was durch den Orgelsachverständigen auch bestätigt wurde. Schulze hatte einfach Pfeifen ausgehoben und sie an anderer Stelle wieder hineingestellt. Sie sollten so höher klingen, was ihm offenbar gefiel. Mindestens 167 Pfeifen waren so zum Teil verschwunden. Schulzes Schaden sollte behoben werden, aber inzwischen war er aus Ortrand weggezogen. Von 1952 bis 1955 erfolgte ein klanglicher Umbau der Orgel durch den Orgelbauer Reinhard Schmeisser (1909-1978) aus Rochlitz. Der bisher spätromantisch-grundtönige Klang der Orgel sollte nun hell, silbrig, schlank und spitz wie bei einer Barockorgel klingen. Durch die Umbauten 1952 und 1955 gingen etliche Originalpfeifen von Turley aus dem Jahr 1847 verloren. Im Subbass 16‘ und Octavbass 8‘ im Pedal wurden die meisten Holzpfeifen wegen Holzwurmbefall durch neue, bzw. gebrauchte Pfeifen ersetzt. Wirklich neu baute Schmeisser nur die Rohrflöte 8‘ ab c° und die Oktavzimbel. Der Umbau durch Schmeisser bekam keine gute Bewertung. Die Orgel versah weiter ihren Dienst. Nach 1955 gab es keine weiteren Reparaturen an der Orgel. Immer mehr Töne fielen aus und die pneumatische Technik versagte. Der Holzwurmfraß breitete sich weiter aus. Von 1986 bis1988 wurde das Kircheninnere durch den Bildhauer, Maler und Kirchenraumgestalter Friedrich Press (1904-1990) nach dem Motiv „Durch Leiden zur Auferstehung. Er lebte seit 1935 in Dresden. Während der Kircheninnensanierung im Jahr 2019 wurde das Pedalpfeifenwerk ausgelagert und die Orgel abgedeckt. Nach erfolgter Sanierung wurden die Pfeifen wieder eingebaut. Durch einige Kleinreparaturen wurde die Orgel erst einmal wieder spielbar. Es gab weitere Überlegungen die Orgel betreffend. In Ortrand St. Barbara ist der größte erhaltene Pfeifenbestand von einer Johann Friedrich Turley Orgel überhaupt. Aus nicht weniger als 16 der einst 18 Register waren noch Pfeifen da, dazu das Gehäuse und verschiedene technische Teile wie die Pedalklaviatur und die Orgelbank. Diese Fakten führten zum Neudenken des Projekts. Die Turley-Orgel sollte wiedererstehen. Das war ein aufwendiges Vorhaben, aber gerechtfertigt durch die enorme Bedeutung der Turleys im Brandenburgischen Orgelbau. Großzügige Fördermittel ermöglichten eine denkmalgerechte Wiedererrichtung der Johann Friedrich Turley Orgel in Ortrand. Im Oktober 2022 begann dann die Restaurierung der Orgel durch den Hermann Eule Orgelbau Bautzen GmbH. Die original von 1847 erhaltenen Pfeifen und Technikteile wurden in die Orgelbauwerkstatt nach Bautzen transportiert. Als Interim Instrument diente ein kleines tragbares Orgelwerk der Firma Tzschöckel und später eine Truhenorgel der Firma Eule. Als Vorbild für den Spielschrank und die technische Anlage wurde die Turley-Orgel von 1838 in Eckmannsdorf erwählt. Hier fanden sich auch die unikaten, „kernlosen Orgelpfeifen“, deren Erfindung Turley in den 1830er Jahren publizierte. Untersucht wurden auch die Turley-Orgel in Wildberg und die Carl August Buchholz- Orgel in Tribsees. Vermutlich hatte ein Turley bei Buchholz gelernt. Die aufwendigen Restaurierungsarbeiten am Holzwerk erledigte 2023 die Orgelbauwerkstatt Christoph Rühle aus Moritzburg. Die Farbfassung des Gehäuses nach dem Originalbefund nahm der Restaurator Udo Drott aus Bad Belzig vor. „Rekonstruiert wurden die fehlenden Pfeifenstöcke, Rasterbänkchen und Hängeleisten für die großen Holzpfeifen sowie Zinnkondukten, einige nach dem Ausbau aufgefundenen, aber stark beschädigte Originalstücke. Restauriert wurden die originalen Prospektkonduktenblöcke und -raster. Mit Rücksicht auf die unikate Bedeutung der Orgel für das erhaltene Schaffen Turleys wurden vier besondere Klangfarben al „Hommáge á Turley“ hinzugefügt, die Turley an seinen großen Orgeln gebaut hat, aber nirgendwo erhalten sind: eine Flauto traverso 8‘ im II. Manual, Fagott & Hoboe 8‘ im I. Manual (nach Buchholz in Triebsees 1831) sowie eine Physharmonica 16‘ im II.Manual, die zusätzlich als 8‘ verlängert wurde. Die beiden Zungenregister werden erst 2024 eingebaut. Ende Oktober 2023 begann der Wiedereinbau der Orgel in Ortrand. Zunächst wurde der Balg von 1907 instandgesetzt und der Motor im Orgelinneren montiert (um negative Klimaeinflüsse vom Dachboden wie bisher auszuchließen).“ Kocourek Am 2. November 2023 wurden die technischen Orgelteile angeliefert und der Einbau der Orgel konnte beginnen. Ende November begann die Intonation. Als letzter Arbeitsschritt erfolgte die Generalstimmung. „Mit der restaurierten, rekonstruierten und ergänzten Turley-Orgel hat Ortrand ein unikates, klangschönes und hochwertiges Instrument mit früh- bis hochromantischem Charakter erhalten, das sich innerhalb der südbrandenburgischen Orgellandschaft mit seinen individuellen Besonderheiten markant profiliert. Es ist die größte spielbare Turley-Orgel überhaupt, darunter die einzige zweimanualige. Sie legt damit ein bemerkenswertes Zeugnis ab für diese seinerzeit bedeutende, heute oft sagenumwobene brandenburgische Orgelwerkstatt, die zu Unrecht im Schatten der größeren und produktiveren Werkstätten wie Buchholz, Lütkemüller, Sauer, Grüneberg u.a. stand…“Kocourek“ |
Windladen: | Schleifladen |
Spieltraktur: | mechanisch |
Registertraktur: | mechanisch |
Registeranzahl: | 22 |
Manuale: | 2, C-f³ |
Pedal: | C-d1 |
Spielhilfen, Koppeln: | Manualkoppel, Pedalkoppel
Calcant (Motor) Licht |
Disposition der Turley-Orgel nach der Rekonstruktion durch Eule 2023
I.MANUAL, HAUPTWERK (C-f³) | II.MANUAL, HINTERWERK (C-f³) | PEDAL (C-d1) |
Bordun 16‘
Principal 8‘ Hohlflöte 8‘ Viola di Gamba 8‘ Octave 4‘ Quinte 2 2/3‘ Superoctave 2‘ Mixtur 4fach Cornett 4fach Fagott & Oboe 8‘ zusätzlich 2024 |
Viola d`amour 8‘ vollständig rekonstruiert
Flauto traverso 8‘ zusätzlich Gedackt 8‘ Principal 4‘ Flaute 4‘ Spitzflöte 2‘ Physharmonica 16‘ zusätzlich 2024 Physharmonica 8‘ zusätzlich 2024 |
Violon 16‘
Subbass 16‘ Octavbass 8‘ Posaune 16‘ vollständig rekonstruiert |
Disposition der Reinhard Schmeisser Orgel von 1955
I.MANUAL, HAUPTWERK (C-f³) | II.MANUAL, SCHWELLWERK (C-f³) | PEDAL (C-d1 |
Bordun 16‘
Principal 8‘ Rohrflöte 8‘ Octave 4‘ Octave 2‘ Spitzquinte 11/3‘ Mixtur (3-)4fach 11/3‘ -Krummhorn 8‘ (vacant) |
Lieblich Gedackt 8‘
Principal 4‘ Flöte 4‘ Quinte 2 2/3‘ Principal 2‘ Terz 13/5‘ (ab c°) Oktavzimbel 2fach 1‘ |
Violon 16‘
Subbass 16‘ Octavbass 8‘ Choralflöte 4‘ Sopran 2‘ |
Disposition der Arno Voigt-Orgel von 1919 op.40
I.MANUAL, HAUPTWERK (C-f³) | II.MANUAL, SCHWELLWERK (C-f³) | PEDAL |
Bordun 16’
Principal 8’ Gambe 8’ Hohlflöte 8’ Octave 4’ Quinte 2 2/3’ + 2’ Mixtur 4 fach Cornett 4fach 4’ ab c1 |
Viola damor 8‘
Lieblich Gedackt 8‘ Aeoline 8‘ neu Vox coelestis 8‘ ab c° neu Principal 4‘ Flöte 4‘ Spitzflöte 2‘ |
Violon 16‘
Subbass 16‘ Salicetbass 16‘ neu Octavbass 8‘ |
Disposition der Orgel von Johann Zeidler 1693
MANUAL (CDEFGA-c³) | PEDAL (CDEFGA-c1) | |
Grobgedackt (8’)
Quintadena 8’ Principal 4’ Kleingedackt 4’ Quinta 3’ Octava 2’ Sesquialter [1fach 1 3/5’] Superoctava 1’ Mixtur 2fach |
Sub-Baß 16’
Principal-Baß 8’ Posaun-Baß 16’ Trompeten-Baß 8’ |
Disposition der Orgel von Christian Koch von 1630+1638
I.MANUAL | RÜCKPOSITIV | |
Grobgedackt 8‘
Principal 4‘ Kleingedackt 4‘ Quinta 3‘ Octava 2‘ Superoctava 1‘ Zimbells 2fach Posaunes 8‘ -Tremulant |
Quinteden [8‘]
Flöte [4‘?] Octava [2‘?] Flautitl [1‘?] Cymballa [3fach?] Corna Musa [Sackpfeife, Zungenregister, 8‘?] -Vergil [vermutlich Sperrventil] |
Bibliographie
Literatur: | Lexikon norddeutscher Orgelbauer, Bd.4, Berlin-Brandenburg und Umgebung einschließlich Mecklenburg-Vorpommern und Umgebung, Pape-Verlag, Berlin 2017. Ortrand St. Barbara: S.231 Alfred Hippauf (1904-1985) aus Bautzen; S.305 Koch, Christian (1630+1638) Orgelmacher in Hayn (Großenhain); S.350 Mager, Andreas; S.416 Pfützner, Johann Christian; S. 573 Turley, Friedrich (1804-1855); S.634 Johann Zeidler (1680-1708 als Orgelbauer nachweisbar).
Jiri Kocourek: Die Restaurierung und Rekonstruktion der Turley-Orgel durch Hermann Eule Orgelbau Bautzen 2022-2023. In: Turley-Orgel Ortrand, 1847-2023. Festschrift… S.23-40. Jiri Kocourek: Die Turley-Orgel von 1847. In: Turley-Orgel Ortrand, 1847-2023. Festschrift… S.41-49. Jiri Kocourek: Der Orgelbauer Johann Friedrich Turley. In: Turley-Orgel Ortrand, 1847-2023. Festschrift… S. 50-55. Jiri Kocourek: Die Geschichte der Orgeln in der Ev. Kirche St. Barbara zu Ortrand. In: Turley-Orgel Ortrand, 1847-2023. Festschrift… S.56-59. Turley-Orgel Ortrand, 1847-2023. Festschrift zur Wiedereinweihung der rekonstruierten Turley-Orgel von 1847 in der St. Barbara-Kirche Ortrand. Herausgeber: Gemeindekirchenrat der Ev. Kirchgemeinde Ortrand, verantwortlich für den Inhalt: Detlef Kern, Fotos: Detlef Kern, Grafik und Gestaltung: Conrad Kreter, Druck: Druckerei Typo-Team Höhnel GbR, Tag der Veröffentlichung: 17.12.2023. |
Weblinks: | Wikipedia, Ortrand, St. Barbara
Stadt Ortrand, Stadtkirche St. Barbara, Friedrich Press Wikipedia, Hermann Eule Orgelbau Bautzen |