Kategorie:Kinoorgel: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 4. Mai 2022, 16:06 Uhr

In den 1920er Jahren erlebte die Kino- und Stummfilmbranche einen Aufschwung, der einen ganz besonderen und gänzlich neuen Orgeltypus hervorbrachte. Die Kino- bzw. Theaterorgel etablierte sich sowohl in Deutschland als auch in der USA und der gesamten westlichen Welt als ein Allround-Instrument zur Begleitung von Stummfilmen, das sich jedes gute Filmhaus leisten wollte. Charakteristisch für diesen Typus sind zum einen die sehr hohen Winddrücke, starke Tremulanten, die prospektlose Aufstellung in schwellbaren Orgelkammern und die verschiedenen Perkussions- und Effektregister (wie etwa Autohupe, Regengeräusch, Sirene etc.). Dem Stil der 1920er Jahre entsprechend waren diese Instrumente elektropneumatisch gesteuert und besaßen Kegel-, Taschen- oder Membranladen. Dies ermöglichte zudem in vielen Fällen, die Kinoorgeln als Multiplexorgeln zu bauen und auf diese Weise aus wenigen Pfeifenreihen zahlreiche Register in allen Fußtonlagen zu generieren. Auch wenn dies bei manchen Herstellern zur Regel und zu einem Markenzeichen der Kinoorgel wurde, gibt es auch solche Instrumente, die nicht in die Kategorie der Multiplexorgel fallen. Die Aufstellung der Disposition folgt einem gänzlich anderen Klangschema als dem der klassischen Kirchen- oder Konzertsaalorgel. Prinzipale oder gar Mixturen sind faktisch kaum oder gar nicht anzutreffen. Das Rückgrat bilden meist dicke Flöten und Gedackte, Streicher, Schwebungen und Zungen aller Art.

Der bekannteste Hersteller von Kinoorgeln schlechthin war die Rudolph-Wurlitzer-Company in den USA. In Deutschland bauten die Firmen Welte & Söhne (Freiburg im Breisgau), J. D. Philips (Frankfurt am Main) und Walcker (Ludwigsburg) Kinoorgeln. Letztere in Kooperation mit Hans Lüdtke und der Firma Furtwängler & Hammer unter dem Kunstnamen „Oskalyd GmbH“.

Nach dem großen Aufstieg kam der Abschwung. Bereits in den 30er Jahren gingen die Neubauten an Kinoorgeln zurück und nach dem Krieg wurden sie faktisch nicht mehr verwendet. Als dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oftmals auch die großen Filmpaläste aus den 20er Jahren abgerissen wurden, gingen viele Instrumente ebenfalls mit unter, sodass heute kaum mehr welche erhalten sind. Heute sind nach verschiedenen Quellen nur noch 19 Instrumente dieser Art in Deutschland erhalten. Nur zwei davon werden am originalen Standort betrieben:

Standort Erbauer Baujahr Manuale Pfeifenreihen Pfeifenregister Bemerkung
Berlin, Musikinstrumentenmuseum Wurlitzer 1929 4 16 129 op. 2064, Style 250 SP (SP: special), [1]

Größte Wurlitzer-Orgel auf europäischem Festland

Berlin, Lichtspielhaus Babylon J. D. Philipps 1929 2 14 65 Einzige Kinoorgel in Deutschland, die noch an ihrem ursprünglichen Standort für Stummfilmbegleitung genutzt wird. Ausführliche Beschreibung und Video
Brey am Rhein,

Privatbesitz Ralf Krampen

Compton 3 7

+ Melotone

+ Solo Cello

Compton op. 414 [1].

Melotone und Solo Cello sind elektroakustische Klangerzeuger der Fa. Compton der 1930er-Jahre.

Celle,

Privatbesitz Willi Wiesinger

Wurlitzer 1921 3 11 ursprünglich für das Warwick Theatre in Kansas City (USA) erbaut, 1930er Jahre in einer Radiostation in Dayton, von 1945-1963 in einer Kirche, von 1963-1975 im Privatbesitz in Milford, 1975-1981 in einer Pizzeria an der Westküste der USA, 1981 bis 1989 in Privatbesitz in Kalifornien, seit 1989 in Celle (Deutschland) (Link)
Dortmund, Deutsche Arbeitsschutz Ausstellung Link Organ Company 1928 2 5 15 Ursprünglich im Temple Theatre in New York City, seit 1997 spielbar in Dortmund
Düsseldorf/Carlstadt, Black Box im Filmmuseum Welte & Söhne 1928 2 10 40 Ursprünglich im Walhalla-Theater Wiesbaden; Vorstellung der Orgel durch F. Gartshore
Frankfurt am Main-Rödelheim,

Privatbesitz Sven Wortmann

Kilgen-Konsole 1927 3 11 ursprünglich mit 3/9 im Jayhawk Theatre Topeka (Kansas, USA); seit 1994 in Rödelheim, erweitert um 2 Ranks
Hamburg, Studio 1 des NDR Welte & Söhne 1930 3 24 121 Am originalen Standort erhalten; größte Kinoorgel Deutschlands; Webseite der Orgel
Himmelstadt,

Privatbesitz Martin R. Karle

J. D. Philipps 2 7
Leipzig, Grassi-Museum Welte & Söhne 1929 2 10 40 Ursprünglich im UFA-Palast Erfurt
Mannheim, Landesmuseum für Technik und Arbeit Welte & Söhne 1928 2 9 41 Ursprünglich im Scala-Theater in St. Gallen (CH), seit 1982 in Mannheim (Video)
Lemgo, Heilig Geist Wurlitzer 1924 2 6 37 Früher in der Werkstatt von Orgelbau Fleiter, danach in der Heilig-Geist-Kirche Lemgo, siehe hier
Neu-Isenburg,

Privatbesitz Thomas Richter

Compton 1930 3 11 Video der Orgel auf Youtube
Neu-Isenburg,

Privatbesitz Thomas Richter

Wurlitzer 1928 2 6 ursprünglich im Union-Theater Mönchengladbach, 1931-1962 im Lido Theatre in Hove (Sussex, GB), 1962-1984 diverse Privatbesitzer, 1984 bis 2013 im Deutschen Filmmuseum Frankfurt am Main, seit 2013 im Privatbesitz in Neu-Isenburg eingelagert, Spieltisch nach wie vor im Filmmuseum Frankfurt
Potsdam, Filmmuseum im Marstall Welte & Söhne 1929 2 11 44 Ursprünglich im Luxor-Palast Chemnitz, 1993 restauriert und im Filmmuseum Potsdam aufgestellt
Speyer,

Technikmuseum Wilhelmsbau

Robert Morton 2 3 15
Rüdesheim, Siegfried Wendels mechanisches Musikkabinett Welte & Söhne 1929 2 11 44 Ursprünglich im Kino Metropol in Bonn; Beschreibung
Valley, Orgelmuseum Dr. Sixtus Lampl Oskalyd (Walcker) 1927 2 17 19 Ursprünglich im Capitol-Kino in Heidelberg, Zwischenzeitlich im Königssaal des Heidelberger Schlosses
Weikersheim, Privatbesitz Hans-Erich Laukhuff M. P. Möller Pipe Organ Company 1947 3 11 62 Ursprünglich nach Südafrika geliefert. 1980 restauriert und in Weikersheim aufgestellt



Bibliographie

Literatur: [1] Karl Heinz Dettke: Kino- und Theaterorgeln. Eine internationale Übersicht. Tectum Verlag, Marburg (2001), ISBN 3-8288-8265-X. S. 25 ff.




Kinoorgel auf der Orgellandkarte

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