Zschepplin/Krippehna, St. Lukas

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Hähnel-Orgel in Krippehna
Seitenansicht
Spieltisch
Außenansicht der Kirche
Orgelbauer: Hähnel, Johann Ernst
Baujahr: 1771
Umbauten: 1879 durch Nikolaus Schrickel, Eilenburg, umgebaut und um ein dreiregistriges Schwellwerk erweitert.

1912 wurden die drei Keilbälge durch einen Magazinbalg ersetzt.

Bei späteren Spielbarmachungen wurden Teile der Mechanik und Pfeifen ausgebaut und z.T. entfernt. Erhalten sind das Gehäuse, die Windladen, der größte Teil der Trakturen und einige Register.

2015-2018 Restaurierung durch die Orgelwerkstatt Kristian Wegscheider.


Aus der Festschrift: Gedanken zur Restaurierung der Hähnel-Orgel aus Sicht des Orgelbauers

Im Juni 2009 sah ich mir die Hähnel-Orgel auf Bitten von Kantor Britze das erste Mal an. Der Zustand war zwar nur mit ein »betrüblich Jammerbild« zu beschreiben, dennoch war für mich als Orgelrestaurator schnell zu erkennen, welch großes klangliches Potential in dieser besonderen Orgel steckt, wenn man ihrer ursprünglichen Gestalt vertraut, die Orgel also auf den soweit als möglich erkennbaren Zustand von 1771 zurückführen würde. Das würde aber bedeuten, den 1879 erfolgten Umbau zu einer zweimanualigen Orgel durch den Orgelbauer Nicolaus Schrickel (1820–1893) nicht nur zu ignorieren, sondern die Orgel auch wieder auf den ursprünglichen Zustand von 1771 zurückzubauen. Als Orgelrestauratoren haben wir erst einmal grundsätzlich den gewachsenen Zustand einer Orgel zu respektieren. Wir haben auch die Aufgabe, jede Umbausituation an einer Orgel fachlich zu beurteilen. Sprechen wir also bei der Orgel in Krippehna von einem gewachsenen Zustand oder einem verwachsenen Zustand. Um es etwas überspitzt zu sagen, es darf ja nicht sein, dass man das, was der letzte Pfuscher hinterlassen hat (vielleicht entstanden aus Unvermögen, vielleicht aus Zeitdruck oder Materialmangel, vielleicht wegen extremer Sparmaßnahmen) nunmehr aufwendig erhält bzw. wieder herstellt. Die Frage nach der Qualität eines Orgelumbaus, einer Erweiterung darf gestellt werden, nein, sie muss sogar gestellt werden, auch wenn dies von einigen Vertretern der Denkmalpflege mitunter nicht so gern beantwortet wird. Das Motto bzw. die Richtlinie lautet oft: Lieber weniger machen, da macht man in der Regel dann auch weniger falsch. Mit dieser durchaus sehr verständlichen Haltung hätten sicher viele tragische Orgelumbauten romantischer Orgeln vor 1 bis 2 Generationen verhindert werden können. Andererseits können manche Orgeln bei zu viel »lassen wir lieber so« nicht die Pracht ihrer Ursprünglichkeit zur Geltung bringen, weil die erfolgten Umbauten an der Orgel, die als Geschichtsdokument eben auch erhaltenswert erscheinen, dies verhindern. Diese Beurteilungen sind zuweilen schwierig und immer von Fall zu Fall abzuwägen. Um die Entscheidung für alle an dem Projekt Beteiligten (Gemeinde, Denkmalpfleger, Sachverständige, Organologen, Orgelbauer) leichter zu machen, hatte die Kirchengemeinde im April 2010 ein kleines Orgel-Symposium in Krippehna organisiert. Das Ergebnis der durchaus kontroversen Diskussion um das richtige Restaurierungskonzept lautete:

Restaurierung und Rückführung der Orgel auf den Originalzustand von Johann Ernst Hähnel von 1771. So wurde es durch den Gemeindekirchenrat am 16.06.2010 schließlich beschlossen. Im Dezember 2011 erstellten im Auftrag des »Fördervereins zur Instandsetzung der Evangelischen Kirche zu Krippehna e.V.« Klaus Gernhardt und Roland Hentzschel ein Restaurierungskonzept und ein Leistungsverzeichnis für die angefragten Orgelbauwerkstätten.

In meinem Angebot für die Bewerbung um diese Restaurierungsaufgabe schrieb ich am 30. Mai 2012 der Kirchengemeinde:

»Die Orgel in Krippehna steht völlig zu Unrecht im Schatten der bekannten Orgeldenkmale des 18. Jahrhunderts im Land Sachsen. Durch die sicher zu Recht große Popularität der Silbermann-Orgeln und auch der Schüler-Orgeln ist der Orgelbau abseits dieser bekannten Orgeln bis jetzt mehr etwas für Insider und selbst da vielen unbekannt. Johann Ernst Hähnels Orgeln sind insgesamt relativ wenig bekannt. Durch die jüngsten Restaurierungen in Mittelsaida und ganz sicher auch durch die jüngste Restaurierung der Orgel in Steinbach ist zumindest die interessierte Fachöffentlichkeit wieder mehr an Hähnel interessiert. Oft wird man als Orgelbauer gefragt, was es denn neben den Orgeln Gottfried Silbermanns in Sachsen gab und ob diese auch so hohe Qualität haben.

Die Antwort ist nicht so einfach. Nicht umsonst haben Gottfried Silbermann und Zacharias Hildebrandt ihren guten Ruf erhalten. Und doch muss man zugleich sagen, dass die klangliche Vielfalt der kleineren Silbermann-Orgeln etwas eingeschränkt ist. Silbermann baute z.B. keine offenen Holzflöten, weder Traversflöten noch Flauto amabile noch Flaut Douce, keine echten Streicher, kein Quintatdena 4’, in kleineren Orgeln keine Unda maris. Der ganze Mezzofortebereich war eher einförmig, wenn auch auf höchstem Niveau. Gerade wegen der notwendig existierenden Vielfalt der Orgellandschaft Sachsens kommt der Hähnel-Orgel in Krippehna eine besondere Bedeutung zu. Es ist ein Spätwerk des Hoforgelbauers Hähnel, das sicher durch einige glückliche Umstände trotz mehrerer Umbauten bis heute in den wesentlichen Teilen erhalten ist, wenn auch teilweise bis zur Unkenntlichkeit »erhalten«. Diese Rokoko-Orgel wird nach der Restaurierung ein klangliches Zeugnis der Zeit in einfacher und ganz sicher überzeugender Weise ablegen und damit helfen, eine wichtige Lücke in der noch existierenden Orgellandschaft Sachsens zu schließen. In besonderer Weise bin ich deshalb froh, dass auf dem Orgelsymposium am 21.4.2010 in Krippehna die vollständige Restaurierung vereinbart und am 16.6.2010 beschlossen wurde. Es lohnt sich, diese Orgel gewissenhaft und ganz penibel zu restaurieren. Gerade weil die Qualität im handwerklichen Bereich nicht so groß ist wie die der allseits bekannten Barock- und Spätbarockorgeln, muss der Orgel sehr intensiv und liebevoll »zu Leibe gerückt« werden, um ihre klanglichen Besonderheiten überzeugend zur Geltung zu bringen. Das ist jedoch nach meiner Ansicht nur durch einen enormen Arbeitszeitaufwand zu leisten, was die Arbeiten leider relativ teuer macht.

Die gründlichen Recherchen der vorhandenen Aktenlage in Krippehna durch Klaus Gernhardt haben einiges Licht in die Orgelhistorie und wichtige Aufklärung der Orgelgeschichte dieses Instrumentes gebracht. Auch die akribische Übertragungsarbeit der Akten durch Ulrich Eichler muss dabei dankbar erwähnt werden.«

Soweit aus meinen Vorbemerkungen des Angebots vom Mai 2012. Heute, am 2. September 2018 sind wir dankbar, dass die Restaurierung bereits hinter uns liegt. Die Orgel erklingt in den schönsten Farben und lässt die Hörer und uns Orgelbauer selbst erstaunen.

Wir Orgelbauer und auch Kantor Norbert Britze waren ja sicher, dass die Orgel nach der Rekonstruktion schön wird, gut klingt und sich gut spielen lässt, aber dass sie sich so farbig und klangvoll, den Kirchenraum ausfüllend, präsentieren würde, das hat uns selbst überrascht.

In diesen 6 Jahren zwischen den Angeboten der verschiedenen Orgelbauwerkstätten und der nunmehr erfolgten Fertigstellung dieser aufwendigen Restaurierung lag aber auch sehr viel Arbeit, musste besonders von Seiten des Fördervereins und der Kirchengemeinde viel in puncto Anträge auf finanzielle Unterstützung geleistet werden. In einem aufwendigen Auswahlverfahren, wer schließlich das Vertrauen für diese Arbeiten bekommt, fiel letztlich die Auftragsvergabe an unsere Orgelwerkstatt in Dresden. Im Juni 2015 konnte endlich der Orgelbauvertrag abgeschlossen werden. Um die Arbeiten wegen der schwierigen Finanzierung (schließlich musste die Kirchengemeinde das Geld in Höhe eines kleinen Einfamilienhauses organisieren) über die Jahre in Etappen zu verteilen, wurde ein Bauetappenplan erstellt. Meine Erfahrung ist, dass es sich als günstig erweist, wenn man mit denjenigen Teilen der Orgel so ein Restaurierungsprojekt beginnt, die bei letztlich nicht ausreichender Finanzierung am Ende gern weggelassen werden (bzw. weggelassen werden müssen) und dies ist dann gewöhnlich die zu rekonstruierende Balganlage. Also war dies neben dem Ausbau und der weiteren Untersuchung der Orgelteile unsere erste Bauetappe, die im Oktober 2015 bereits abgeschlossen werden konnte. Der von Nicolaus Schrickel 1879 eingebaute kleine Schwellerkasten für das 2. Manual war teilweise aus den alten Blasebalgplatten gefertigt worden. Bei der Rekonstruktion der Keilbälge konnten so Teile der alten Balgplatten wieder mit in die neuen Blasebälge integriert werden, welche die Authentizität der Anlage natürlich erhöhen. Weitere Erkenntnisse zur nicht vorhandenen schaltbaren Pedalkoppel musste Kantor Norbert Britze leider zur Kenntnis nehmen. Die Pedalkoppel war nie schaltbar, die Manualregister spielen immer ins Pedalwerk mit ein, wie es an vielen Orgeln des 18. Jahrhunderts der Fall war, so auch an der erst kürzlich von unserer Werkstatt restaurierten Silbermann -Orgel in Niederschöna. Wenn man dort in Niederschöna an einer Silbermann-Orgel mit der festen Koppel leben kann (und muss), dann doch auch in Krippehna!!! – Kantor Britze zeigte sich einsichtig.

Die genaue Stellung der herunterzusetzenden Pedalwindlade konnte nach gründlichen Recherchen meines Montageleiters Raymund Herzog zweifelsfrei ermittelt werden, so dass die

Pedalpfeifen wieder gut zugänglich und die Posaune mit vollen Becherlängen gebaut werden konnten. Gern hätten wir im Jahr 2016 weitergearbeitet, doch die ausbleibende Finanzierung verlangte trotz des unterschriebenen Vertrags eine Zwangspause, die unsere gesamten Planungen ein ganzes Jahr zurückwarfen.

Im Frühjahr 2017 konnten die Arbeiten dank finanzieller Zusagen wieder aufgenommen werden. Nun ging es für uns Orgelbauer an die Innereien der Orgel, an die Windladen (die Herzstücke jeder Orgel, die Kästen, auf denen die Pfeifen stehen und deren Ventile der Organist mit den Fingern und Füßen öffnen kann), an die mechanischen Traktur-Teile, an die Pfeifen. Obwohl wir als Restaurierungswerkstatt über viel Erfahrung verfügen, hatten wir den Erhaltungszustand der glücklicherweise überkommenen Teile der Hähnel-Orgel doch etwas zu optimistisch eingeschätzt.

Der Holzwurm hatte den Pfeifenstöcken aus Lindenholz (die dicken Bretter, auf denen die Pfeifen schließlich stehen) mächtig zugesetzt. Manche dieser Pfeifenstöcke konnte man mit den Fingern zusammendrücken und auch in den Tonkanzellen im Innern der Windladen gab es durch verrostete Schrauben Schäden im Eichenholz, die zusätzlichen vorher nicht planbaren Restaurierungsaufwand nach sich zogen. Selbst die äußerlich noch funktionstüchtig erscheinenden Holzwellen der Mechanik hatten die Holzwürmer innen fast termitenartig aufgefressen, so dass viele dieser Teile letztlich doch erneuert werden mussten.

Leider hatte sich auch an einigen Stellen der Manualwindladen das Fundamentbrett abgelöst, was man vielleicht mit einem Herzklappenfehler bei uns Menschen vergleichen könnte. Auch wenn man bei den Orgelteilen sicher nicht so komplizierte »Reparaturmaßnahmen« wie in der Medizin vornehmen muss, aufwendiges Nachleimen und Abkleben der gefährdeten Risse mit Leder verlangen doch auch genaues und fachgerechtes Arbeiten, damit diese wertvollen historischen Hähnel-Windladen noch mehrere Generationen ihre einwandfreie Funktion im Orgelinneren erfüllen können. Besonders stark »zugeschlagen« hatte der Holzwurm auch bei den Holzpfeifen. Wir Orgelrestauratoren versuchen natürlich so viel wie möglich die historische Substanz einer Orgel zu erhalten, insbesondere gilt dies für die Orgelpfeifen, sind doch gerade diese die wichtigen Zeugnisse für den individuellen Klang einer Orgel, den es ja wieder erlebbar zu machen gilt. Nach aufwendigsten Reparaturen (Teilergänzungen, ausleimen, teilweise ausgießen mit Harz-Paraloid) der noch halbwegs intakten Holzpfeifen, mussten wir aufgeben. Der zeitliche und damit finanzielle Aufwand wäre unverantwortlich groß geworden. Und schließlich könnte der Klang dieser reparierten Holzpfeifen dann immer noch mit störenden Makeln behaftet sein. Dazu kam, dass allein die Reparatur der wenigen Pfeifen unser geplantes Budget bereits überschritten hatte. So haben wir alle Maße von den alten Pfeifen abgenommen und diese Pfeifen aus gutem Kiefernholz nachgebaut. Ähnlich den Holzpfeifen ging es auch den Tasten der Pedalklaviatur, die größtenteils erneuert werden mussten. Der Holzwurm ist da nicht wählerisch und nimmt von der Orgel, was er kriegen kann. Mit den Sachverständigen und den Vertretern der Kirchengemeinde wurden diese vorher nicht planbaren zusätzlichen Arbeiten besprochen und bei einem Werkstattbesuch in Dresden auch in Augenschein genommen. Da die enge finanzielle Lage der Kirchengemeinde natürlich auch uns bekannt war, haben wir als Orgelwerkstatt auch einen Teil dieser Mehrleistungen unentgeltlich übernommen. Für die doch relativ kleine Gemeinde blieb dennoch ein gehöriger zusätzlicher finanzieller Aufwand zu stemmen, was den Verantwortlichen in Erwartung der Qualität der Orgel schließlich gelungen ist. Inzwischen war der Restaurator Wilfried Sitte dabei, die Farbfassung der Orgel zu überarbeiten. Auch hier konnten wir von einem guten Zusammenarbeiten mit uns Orgelbauern bei der Orgelgehäuse-reparatur und den notwendigen Ergänzungen berichten. Besonders spannend war dann die Freilegung der überstrichenen Registerschilder. Wie hatte Johann Ernst Hähnel seine Register, also seine Musikinstrumente im Orgelorchester schließlich bezeichnet, und würden wir noch Überraschungen erleben? Als der Restaurator Sitte die Registerschilder freilegte (einige waren allerdings bereits stark beschädigt), erlebten wir doch eine Überraschung.

Es kam der schöne Name »Vocator« zum Vorschein, was hier so viel wie »Rufer« bedeuten soll, also der Registerzug zum Rufen des Windes, der zum Weiterspielen der Orgel benötigt wird. Raymund Herzog (unser scharfsinniger Spurensucher) fand dazu die Spuren der verlorengegangenen Mechanik; und so konnte der Kalkantenzug, also der mechanische Klingelzug für den Bälgetreter im Turmraum wieder rekonstruiert und neben den Bälgen mit

einer kleinen Glocke ausgestattet werden. Ein weiteres überstrichenes Registerschild zeigte den Namen Tremulant, was wir auch erwartet hatten. Nicht klar war allerdings, ob es sich um einen sogenannten Kanaltremulanten handelte, also eine im Windkanal schwebende Holzklappe, oder einen Wippfederauslasstremulant, der periodisch Wind aus dem Kanal entweichen lässt und somit die Orgeltöne in eine Schwebung versetzt. Der Orgelbauer Schrickel hatte im 19. Jahrhundert einen originalen Kanal von Hähnel zweckentfremdet, der sich eindeutig als Windkanal mit einer Öffnung für einen Wippfederauslasstremulanten (auch Bocktremulant genannt) zuordnen ließ. Raymund Herzog entdeckte auch gleich noch, dass sich ursprünglich eine kleine Metallplatte auf der Innenseite des Staffelbretts befand, was darauf schließt, dass der Tremulant mit einem kleinen Wind-Ventil (und nicht mit einer Schleifeneinschaltung) eingerichtet war. Alles ließ sich so mit diesen wenigen Spuren auf den Zustand von 1771 rekonstruieren. Eine weitere Entdeckung waren die Registerschilder Tympano und Nolimetangere. Der Begriff Tympano kommt eigentlich aus dem Griechischen. Neben der Bedeutung in der Architektur als Giebelfeld eines Tempels bedeutet Tympano in der Musik ursprünglich Handtrommel, wird aber auch gelegentlich als Ritzel bezeichnet. Andererseits wird Tympano auch oft für Pauke verwendet. In der Medizin wird als Tympanoplastik der chirurgische Eingriff in die Pauken-Höhle des Ohres bezeichnet. Im Orgelbau wurde die Registerbezeichnung Tympano zumeist für Trommel oder Pauke verwendet. Durch die Forschung von Klaus Gernhardt, dem an dieser Stelle dafür sehr zu danken ist, wissen wir aber, dass Johann Ernst Hähnel Tympano für Cymbelstern verwendete, also im Sinne der Übersetzung Ritzel könnte man auch das rhythmische »Klopfen« des mit Glöckchen bestückten Windrads im Sinne von pauken, trommeln verstehen. Wie dem auch sei, wir haben nun dem Krallenglöckchen-Cymbelstern, von dem der Restaurator Sitte noch ein Teil fand und dessen Lagerung noch erkennbar und somit dieser im Ganzen rekonstruierbar war, in der Mechanik das Registerschild Tympano zugeordnet. Was blieb aber nun für »Nolimetangere« übrig? Das lateinische »Noli me tangere« heißt ja »Rühre mich nicht an«, eine Wendung, die Jesus zu Maria Magdalena nach seiner Auferstehung sagt (Johannesevangelium). Die Orgelbauer bezeichneten dabei oft den Registerknopf, der aus Symmetriegründen zusätzlich im Staffelbrett positioniert wurde, aber keine Funktion besaß. Hatte Hähnel in Krippehna diesen Registerzug dort verwendet? Raymund Herzog kam während der Restaurierung mit einer originalen Hähnel-Holzpfeife zu mir, für die es keine Verwendung in einem Register der Hähnel-Orgel gab, die aber wegen der Beschriftung und der Bauweise eindeutig von Hähnel stammte. Nicolaus Schrickel hatte diese Pfeife als Windkanal für das hochgelegte Pedalwerk, für die Pedalwindlade zweckentfremdet. War dies vielleicht eine Pfeife der Labialtrommel bzw. Labialpauke, also eine der zwei verstimmt zueinander gebauten Holzpfeifen, die diesen Trommeleffekt, die Labialschwebung hervorbringen?

Es war die einzig sinnvolle und mögliche Erklärung für diese Holzpfeife, denn auch die Pfeifenmensur mit der Tonbezeichnung »Dis« passte wirklich zu keinem der Holzregister. Wenn es diese Labial-Pauke gab, war sie vielleicht immer mit der Cymbelsterneinschaltung verbunden, was ja durchaus einen Sinn ergeben würde? Wir fanden dafür keine klare bzw. eindeutige Antwort. Was tun? Gemeinsam mit den Sachverständigen Roland Hentzschel und Klaus Gernhardt und dem Kantor Norbert Britze entschlossen wir uns, den Registerzug Nolimetangere für die Labialtrommel zu verwenden, also beim Ziehen dieses Registerzugs die Labialtrommel einzuschalten. Sicher ist dies etwas ungewöhnlich, doch warum eigentlich nicht. Die ganze Orgel in Krippehna ist ungewöhnlich und vor allem ungewöhnlich schön. Warum dann also nicht auch als Besonderheit: Nolimetangere für die kleine, behutsame Labial-»Pauke«.

Im Jahr 2017 konnten wir alle wesentlichen technischen Arbeiten im Innern der Orgel abschließen. Auch die Spielschranktüren konnten rekonstruiert werden. Spuren dafür wurden nach der Farbfreilegung gefunden. Unser Tischlermeister und Restaurator Michael Dittrich, der auch Details des Gehäuses wieder ergänzte, baute die passenden Spielschranktüren, so dass die Orgel nun auch wieder optisch geschlossen aussieht und vor allem auch abschließbar ist.

Einige Details der Orgel ließen sich allerdings nicht mehr aus dem erhaltenen Bestand zweifelsfrei rekonstruieren. Da waren wir auf die Informationen angewiesen, die wir an anderen Hähnel-Orgeln und Orgeln der Schüler bzw. Orgeln ähnlicher Bauweise und Entstehungszeit finden konnten. Tobias Haase und Raymund Herzog, teilweise auch ich selbst, machten sich auf die Reise, um die Orgeln in Mittelsayda (Vorbild Posaune), Steinbach (Holzpfeifen) und vor allem

auch Leuben bei Oschatz (Holzpfeifen) unter die Lupe zu nehmen. Auch die Orgeln in Struppen (Balg- und Kanalanlage), Elbisbach, Staucha und Kleinbardau (Holzpfeifen, Manubrien, Manualklaviatur) lieferten wertvolle Hinweise, die entscheidend zum Gelingen der aufwendigen Rekonstruktionsarbeiten der Orgelrestaurierung beitrugen. Unsere Pfeifenmacher Hartmut Schütz und Tobias Haase reparierten, ergänzten und rekonstruierten die Metallpfeifen. Die wenigen Spuren der gemischten Stimmen wurden gewissenhaft ausgewertet und die Pfeifen daraufhin ergänzt bzw. zusammengestellt. David Goßmann, Andrea Plödt, Georg Tomat, Friedemann Schwarzenberg, Michael Wetzel, Martin Paul, Christian Mrzik, Ulf Hausmann und Michael Dittrich – alle unter der fachkundigen Leitung von Raymund Herzog unterstützt von Matthias Weisbach, brachten sowohl die Holzpfeifen, die Posaune, die Mechanik, die Balganlage und das Orgelgehäuse mit den Pfeifenhaltern wieder in gute Kondition.

Im Frühjahr 2018 begann schließlich Markus Zoitl zusammen mit Raymund Herzog mit der Intonation der Orgel. Jede der vielen Pfeifen, die in der Werkstatt von Markus Zoitl schon einmal in den vermutlich richtigen Ton gebracht worden sind (vorintoniert), wurde nun an die akustischen Gegebenheiten der Kirche angepasst. Besonders die Rekonstruktion des Posaunenregisters (exzellent rekonstruiert von Ulf Hausmann) erschien für den Kirchenraum ideal getroffen und übererfüllte die eigenen hochgesteckten Erwartungen.

Roland Hentzschel prüfte während der Intonation stetig das entstehende Ergebnis und Kantor Norbert Britze verfolgte insbesondere die klanglichen Arbeiten fortwährend mit zunehmender Begeisterung. Und das Ergebnis heute, am 2.9.2018 nach so vielen Jahren?

Möge jeder Besucher selber den Klang dieser besonderen Orgel auf sich wirken und sich gefangen nehmen lassen von den alten und nunmehr neuen Klängen, die jetzt durch den Kirchenraum schweben.

Mein herzlicher Dank geht an die Kirchengemeinde und stellvertretend an die so freundliche Pastorin Eva Fitschen als auch an die Sachverständigen für das große Vertrauen in unsere Werkstatt. Besonderer Dank geht aber auch an den Förderverein und an den lieben Kantor Norbert Britze, dessen Neugier auf das Ergebnis uns immer beflügelt hat. Ein ganz besonders herzlicher Dank geht aber auch an meine Mitarbeiter, ohne die dieses schöne Ergebnis nicht hätte entstehen können.

Möge die wiedererstandene Orgel unsere alten und auch neuen Choräle mit der eigenen Anmut begleiten und unsere Herzen berühren wie ein Zipfel der himmlischen Herrlichkeit.

Kristian Wegscheider

Dresden/Ahrenshoop 05.08.2018"

Stimmtonhöhe: 418,2 Hz bei 18°C
Windladen: Schleifladen
Spieltraktur: mechanisch
Registertraktur: mechanisch
Registeranzahl: 14
Manuale: 1, CD-c3
Pedal: CD-c1
Spielhilfen, Koppeln: feste Pedalkoppel

Tympano (Stern), Vocator (Kalkant), Nolimetangere, (Trommel)





Disposition nach Restaurierung 2018

Manual Pedal
Principal 8’

Flaute major 8’

Quinta viola 8’

Undamaris 8’

Praestanda 4’

Flaute minor 4’

Quinta 3’

Octava 2’

Siffloit 1’

Mixtur 3fach

Cymbel 2fach

Sup.Bass 16’

Violon.Bass 8’

Posaun.Bass 16’


Tremulant




Disposition Hähnel nach Eichler

Manual C/D-c3 Pedal C/D-c1
* Principal 4‘, Zinn, Prospekt poliert
  • Quinta 3‘
  • Octava 2‘
  • Sifffloite 1‘, Zinn
  • Mixtur 3-fach

Cymbel 2-fach

Quinta Viola 8‘

  • Floite minor 4‘, Metall

Unda maris 8‘

Principal 8‘, Metall, z.T. gedeckt

  • Floite major 8‘, Holz und Metall
* Sub Bass 16‘
  • Violonen Bass 8‘, Holz, gedeckt

Posaunen Bass 16‘, Holz und Messing


Register mit * ganz oder teilweise erhalten

Nebenregister und Spielhilfen

Coppel ausn Manual ins Pedal

Ein Cymbel Stern

Tremuland




Bibliographie

Literatur: Eichler, Ulrich: Der sächsische Orgelbauer Johann Ernst Hähnel (1697-1777)., Beucha, Markkleeberg 2018, Sax Verlag

Lexikon norddeutscher Orgelbauer, Bd. 2, Sachsen und Umgebung. Berlin Pape Verlag 2012, Johann Ernst Hähnel S. 129 / 130

Orgelwerkstatt Kristian Wegscheider (Informationen)

Discographie: Johann-Ernst-Hähnel-Orgel Krippehna, Krzysztof Urbaniak, Orgel, Querstand VKJK 1911, Rezension bei 'Organ', YouTube, Spotify
Weblinks: Website der Kirchengemeinde

Wikipedia

Hähnel-Orgel in Krippehna eingeweiht 2018

Orgelrestauration in Krippehna auf Zielgeraden

Festtag in Krippehnas Kirche für die neue alte Orgel

Wiedereinweihung der sanierten Hähnel-Orgel 2018

Eichler, Ulrich, neue Erkenntnisse zum Orgelbauer Johann Ernst Hähnel 2018, PDF

Eintrag bei orgbase.nl


Orgel in Krippehna Orgelvorstellung, Krzysztof Urbaniak:
J.S. Bach: Präludium und Fuge in E Major, BWV 878: No. 1, Praeludium, Krzysztof Urbaniak:


Friedrich Erhard Niedt (1674-1717): Praeludium in C, Thorsten Pirkl: